Was macht denn ein UX-Designer?
Holger Fischer: Häufig haben wir heutzutage das Gefühl ein digitales System, beispielsweise eine Webseite oder eine App auf dem Smartphone, auf Anhieb zu verstehen. Wir erkennen auch direkt den Mehrwert. Dann beschreiben wir es gerne allzu oft als „einfach“ und „intuitiv“. Dies liegt dann vor allem daran, dass wir unsere bisherigen Erfahrungen und das bereits Gelernte auf die Software abbilden können und diese dabei hilft unser Ziel zu erreichen oder gegebenenfalls sogar zu übertreffen. Als Einzelperson haben wir immer eine Intuition, wie etwas zu funktionieren hat. Diese Intuition ist immer so klar, dass wir glauben, jeder andere müsste dies doch genauso sehen.
Gerade bei digitalen Systemen, die auf eine sehr breite Nutzergruppe abzielen, ist es um so herausfordernder die größtmögliche Schnittmenge über die unterschiedlichen Wissensstände und Erwartungen der Nutzer herzustellen.
An dieser Herausforderung arbeiten UX-Designer. Sie sind Dolmetscher und übersetzen zwischen den Erwartungen und Bedürfnissen aus der Welt der Nutzer und der fachlichen Welt sowie der für die Nutzer technischen Blackbox. Die Aufgaben dabei sind vielfältig: Erforschen von Erwartungshaltungen und Analyse von Abläufen mittels Tiefeninterviews, Kontextanalysen und Workshops; Konzepterstellung von Mehrwerten und Erlebnissen unter Berücksichtigung neuer digitaler Möglichkeiten bis hin zur Gestaltung von Benutzungsschnittstellen und deren Evaluierung.
UX-Design ist vielmehr ein Sammelbegriff über Tätigkeitsbereiche wie User Research, UX-Architektur, Visual Design und vielem mehr. Genauso interdisziplinär sind auch die Ursprünge der Menschen, die in diesem Berufsfeld arbeiten: Kognitions- und Wahrnehmungspsychologie, empirische Sozialforschung, Medieninformatik, Produkt- und Interaktionsdesign, um nur einige zu nennen.
Es werden vier wesentliche Qualitätseigenschaften adressiert: Die Gebrauchstauglichkeit der Software (Usability), das Erlebnis bei der Benutzung (User Experience), die Teilhabe aller Menschen (Barrierefreiheit) sowie die Vermeidung negativer Auswirkungen auf die Gesundheit, Sicherheit, Finanzlage oder Umgebung, die aus der Nutzung des Produkts resultieren.
Menschzentrierung lässi sich nicht durch konzeptionelle Entscheidungen in Gremien erreichen. Voraussetzung ist eine offene Lernkultur, in der Konzepte zunächst durch einfache so genannte Prototypen mehrmals iteriert werden, bevor das Konzept für die technische Umsetzung bereit ist.
UX bei Atruvia
Und was machen Sie genau bei Atruvia?
Holger Fischer: Mit meiner Herkunft als Medieninformatiker, arbeite ich bei der Atruvia vorrangig als UX-Coach und User Researcher. Eine menschzentrierte Gestaltung interaktiver Systeme ist keine Tätigkeit einer einzelnen Person. Daher begleiten meine Kollegen und ich die zahlreichen Produktteams, versuchen ein Bewusstsein für die Belange der Nutzer zu schaffen und Maßnahmen mit den Teams auf den Weg zu bringen, um die oben genannten Qualitätsziele zu erreichen.
Zwingend erforderlich ist natürlich die fachliche Korrektheit. Aber erst wenn auch die Berater und Kunden der Banken die Mehrwerte durch digitale Produkte erkennen und diese als Hilfsmittel wahrnehmen, haben wir eine positive User Experience erschaffen. Eine aktive Einbindung dieser Personengruppen ist essenziell. Dafür koordiniere ich bspw. Gespräche, Workshops oder auch Erprobungen mit Testpersonen.
Was sind beispielsweise aktuelle Projekte?
Holger Fischer: Aktuell begleite ich gleich mehrere Projekte. Neben generellen Bestrebungen, das Bewusstsein für eine menschzentrierte Gestaltung weiter auszubauen, erforschen wir bspw. im Business Solution Team „Absicherung“, wie wir die Beratung zu Themen der finanziellen Absicherung digital angemessen unterstützen können. Dabei involvieren wir Berater aus den Banken und Versicherungen und reflektieren erarbeitete Ideen mit Testpersonen. Dies alles geschieht vor der eigentlichen technischen Umsetzung.
Im Bereich Immobilie unterstützen wir dabei, das Konzept des digitalen wechselseitigen Austausches zwischen Kunden der Banken und den Beratern mit Leben zu füllen.
Mit welchen Kollegen haben Sie am meisten zu tun?
Holger Fischer: In meinen Aufgaben bin ich durchgehend im Austausch mit einer Vielzahl an Personen. Dazu gehören die verantwortlichen Produktmanager*innen und Product Owner sowie die technischen Entwickler in den Produktteams. Auch der Austausch mit anderen UX-Designer, die ihre Schwerpunkte in der Konzeption oder im Visual Design haben, gehören dazu.
Etablierte Prozesse als Herausforderung
Holger Fischer arbeitet seit rund 12 Jahren im Bereich Usability & User Experience. Seit Dezember 2021 ist er als UX-Designer mit Schwerpunkt Enabling & Research bei Atruvia tätig. Zuvor war er als Team Lead UX und Principal UX Consultant bei Eresult und beriet Kunden zur Human-Centeredness Strategie, führte das Bewusstsein zu Human-Centered Design in Unternehmen ein und coachte UX in Usability- und Design Thinking-Trainings. Vor Eresult arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Paderborn im Software Innovation Lab (SI-Lab), führte im Rahmen von Transfer- und Sensibilisierungsprojekten Usability-Aktivitäten in Unternehmen ein und begleitete diese bei der Erhebung von Nutzungsanforderungen und der Umsetzung erster menschzentrierter Projekte. Darüber hinaus engagierte er sich als Vize-Präsident im Vorstand (2014-2021) der German UPA e.V. – dem Berufsverband für Usability & User Experience Professionals – und ist derzeit dort Arbeitskreisleiter (seit 2019) für Qualitätsstandards und HCD-Reife. Des Weiteren ist er Gründungs- und Vorstandsmitglied des International Usability & User Experience Qualification Board – UXQB e.V. und begleitet dort die Entwicklung von Curricula zur Personenzertifizierung.
Vor welchen Herausforderungen stehen Sie öfters?
Holger Fischer: Viele große IT-Unternehmen arbeiten durch historische etablierte Prozesse am Wandel hin zu mehr Menschzentrierung in der digitalen Transformation. Wir treffen häufig viel zu schnell Annahmen, ohne diese zu hinterfragen und zu validieren. Selbst sind wir jedoch nie die Nutzer unserer eigenen Produkte, auch wenn wir sie tatsächlich selbst nutzen. Wir sind fachlich bereits zu tief eingestiegen und technologisch durch die tägliche Arbeit im Softwareumfeld zu affin. Dieses Verständnis zu etablieren, ist sicherlich eine von mehreren Herausforderungen.
Auch lässt sich eine Menschzentrierung nicht durch konzeptionelle Entscheidungen in Gremien erreichen. Voraussetzung ist eine offene Lernkultur, in der Konzepte zunächst durch einfache so genannte Prototypen mehrmals iteriert werden, bevor das Konzept für die technische Umsetzung bereit ist. Erwartungen und Nutzungsanforderungen lassen sich nur bedingt vorausschauen und entstehen zumeist erst, wenn Nutzer Konzepte anfassen und somit Feedback geben können.
Ausschlaggebend dabei ist es, nicht in Lösungen zu denken, ohne die Probleme betrachtet zu haben. Wenn wir wissen wollen, ob dem Gast das Essen schmeckt, reicht es nicht aus, den Wirt zu fragen. Wir müssen hierzu mit dem Gast sprechen.
Was würden Sie sich von Ihren Kollegen wünschen?
Holger Fischer: Ich wünsche mir Verständnis. Mehr Verständnis für unsere Arbeit und vor allem mehr Verständnis für unsere Nutzer. UX-Design ist nicht nur das Bauen von Oberflächen. UX-Design ist vor allem die konzeptionelle Ausrichtung eines Produktes auf die Belange und Bedürfnisse der Menschen. Dafür kennen wir viele Methoden. Wesentlich ist auch die Nutzerforschung. Kein Arzt operiert seinen Patienten, ohne diesen vorher untersucht zu haben. So entwickelt auch kein UX-Designer ein Konzept oder gar eine Oberfläche, ohne zunächst das Problem durchdrungen und verstanden zu haben.