Der Umfang der notwendigen Anpassungen ist erheblich. ISO 20022 ist ein XML-basierter Standard, der gegenüber SWIFT-FIN/MT und DTAZV mehr Daten und komplexere Datenstrukturen erlaubt. Strukturierte Adressen und ein längerer, strukturierter Verwendungszweck sind hier nur zwei Beispiele. Anwendungen, deren Logik auf MT basiert, müssen grundlegend überarbeitet oder neu entwickelt werden.
Die fachliche Komplexität alleine ist es allerdings nicht, was das Vorhaben zur Herausforderung macht. Änderungen von Standards, Formaten und regulatorischen Vorgaben gehören für die Finanzwirtschaft schon immer zum Geschäft.
Herausfordernde Begleitumstände
Zunächst: Mit der Umstellung von SWIFT (CBPR+) und TARGET2 müssen zwei Großprojekte zeitgleich abgewickelt werden. Die synchrone Umstellung vermeidet zwar aufwändige Übergangsszenarien, um die Interoperabilität zwischen den Systemen zu gewährleisten, generiert aber parallele Projekte, die teilweise auf die gleichen Ressourcen, Know-how-Träger und Dienstleister zeigen.
Der Anpassungsbedarf ist auch nicht auf das Back Office beschränkt. Die Deutsche Kreditwirtschaft (DK) hat parallel die Anforderungen an die Einreichung von Auslandsüberweisungen nach dem ISO 20022-Standard an der Kunde-Bank-Schnittstelle spezifiziert. Die Spezifikation ist ab November 2022 gültig, ab November 2025 ist sie verpflichtend. Das bisherige Format DTAZV wird ab dann nicht mehr unterstützt.
In vielen Instituten stand TARGET2 zunächst im Vordergrund. Der seitens des Eurosystems geplante Big Bang schien mehr Aufmerksamkeit zu verlangen als der Beginn der Koexistenzphase im Auslandszahlungsverkehr. Die Annahme, CBPR+ lasse sich im Windschatten der TARGET2-Umstellung quasi mit erledigen, unterschätze die Unterschiede und überschätze die Synergien.
Um Zeit zu gewinnen, setzen viele Institute nun auf Konverter-Lösungen, die eingehende Nachrichten in das alte Format übertragen . Die notwendige Umstellung der Backoffice-Applikationen lässt sich so bis spätestens 2025 hinausschieben. Diese Strategie ist nachvollziehbar, zieht aber zugleich das Umstellungsprojekt in die Länge und erhöht die Gesamtkosten, da Aufwände zur Schaffung von Übergangslösungen entstehen.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Corona-Pandemie die Projektarbeit über weite Strecken überlagerte. 2020, zu Beginn der Pandemie, waren Banken vorrangig damit beschäftigt, ihren operativen Geschäftsbetrieb aufrecht zu erhalten. SWIFT und nachfolgend auch das Eurosystem entschieden 2020 mit Rücksicht auf die Nöte der Institute, den Go-Live um ein Jahr – von ursprünglich November 2021 auf jetzt November 2022 – zu verschieben. Auch hier bedeutete der Zeitgewinn zugleich eine Verlängerung der Projektlaufzeit und unter dem Strich höhere Gesamtaufwände.
Anpassungen an überalterter Legacy-IT
Autor: Joachim Dorschel ist Geschäftsführer der DPS Gruppe und verantwortet dort die Themen Innovation, Marketing und Marktentwicklung. Nach seinem Studium der Rechtswissenschaften arbeitete Joachim Dorschel zunächst als Rechtsanwalt für IT-Recht. Seit 2014 ist er in diversen Funktionen für die DPS Gruppe tätig. Joachim Dorschel veröffentlicht regelmäßig Beiträge zu aktuellem Fragen der Finanztechnologie und ist als Speaker auf Fachkonferenzen aktiv. © Kai-Uwe Knoth
Die neuen MX-Formate treffen insbesondere im Back Office auf eine Legacy-Infrastruktur, die häufig seit Jahrzehnten nicht nennenswert weiterentwickelt wurde. Im Massenzahlungsverkehr haben SEPA und die Einführung von Instant Payments umfangreiche Anpassungen der relevanten Zahlungsverkehrs-Applikationen erforderlich gemacht. Der Auslands- und der Großbetrags-Zahlungsverkehr sind dagegen nahezu unverändert geblieben und standen auch nicht gerade im Zentrum der strategischen Überlegungen der Institute.
Dementsprechend hoch sind die technischen Schulden in den Abwicklungssystemen. Institute stehen nicht selten vor der Entscheidung, Anfang der 90er Jahre entwickelte COBOL-Anwendungen umzubauen, neu zu entwickeln oder die Backoffice-Verarbeitung outzusourcen. Der Umbau der Altanwendungen stößt dabei auf all jene Hindernisse, mit denen Banken mit relevanter Legacy-IT immer wieder zu kämpfen haben: Die wichtigsten Know-how-Träger haben das Institut vor Jahren verlassen, die Anwendungen sind eher schlecht als recht dokumentiert und Entwickler mit Mainframe-Kenntnissen sind am Markt kaum zu bekommen.
Verzögerungen auch bei SWIFT
Co-Autor: Carsten Lange ist Partner der DPS Gruppe mit dem Schwerpunkt Zahlungsverkehr / Payments. In verschiedenen Positionen auf der Primärbank-Ebene und bei einem großen Bank-Rechenzentrum hat er seit 1993 umfangreiche Erfahrungen in bankfachlichen Themen sowie deren Umsetzung in Fach- und IT-Projekten sammeln können. Nach seinem Eintritt in die DPS Gruppe im Jahr 2007 konnte er diese in unterschiedlichen Kundenumfeldern zielführend einsetzen. In den letzten Jahren ist er in Projekten zur ISO 20022 Migration im TARGET2- und Auslandszahlungsverkehrs-Umfeld tätig. © Kai-Uwe Knoth
Bei SWIFT geht die Umstellung auf ISO 20022 mit dem Aufbau umfangreicher Services einher, deren gemeinsames Ziel es ist, Auslandszahlungen schneller und günstiger und für den Kunden leichter nachverfolgbar und nicht zuletzt den angeschlossenen Banken die Umstellung leichter zu machen. Auch dieses Projekt ist nicht frei von Rückschlägen und Verzögerungen, welche sich ganz erheblich auf die Projektarbeit der Institute auswirken.
Ein zentrales Element der Zielarchitektur von SWIFT ist die Transaction Management Platform (TMP). Die TMP ist ein Novum in der SWIFT-Infrastruktur. Ihre Aufgabe wird es sein, eine zentrale Kopie aller Zahlungen bereitzuhalten und den angeschlossenen Korrespondenten zur Verfügung zu stellen.
Damit löst SWIFT ein Problem, das entsteht, wenn MX-Nachrichten auf MT konvertiert werden: Wie dargestellt enthalten MX-Nachrichten wesentlich mehr Informationen als die korrespondierenden MTs. Wandelt ein Korrespondent eine eingehende MX-Nachricht in das alte MT-Format, damit seine Backoffice-Systeme diese verarbeiten können, sind wesentliche Teile der Ursprungsnachricht verloren. Dies ist problematisch für alle nachfolgenden Korrespondenten, da diese verpflichtet sind, alle Informationen einer Nachricht bei den notwendigen Sanktions- und Embargoprüfungen zu berücksichtigen.
Die TMP schließt diese Lücke, indem sie die ursprünglichen Informationen bereithält. Nach heutigem Kenntnisstand werden die relevanten Funktionalitäten der TMP im März 2023 bereitstehen, knapp ein halbes Jahr nach Beginn der Koexistenzphase. In der Zwischenzeit ist eine regulatorikgerechte Verarbeitung nur mit aufwändigen Zwischenlösungen möglich, was Ressourcen bindet, die eigentlich für die Projektarbeit, insbesondere in der Testphase, dringend benötigt werden.
Verschärfter Wettbewerb
Nun sind komplexe Großprojekte mit sich stetig verändernden Rahmenbedingungen für die IT-Abteilungen und Fachbereiche europäischer Banken weder neu noch ungewohnt. Vermutlich gibt es kaum eine Branche, die ihre Produktionsabläufe so häufig wegen gesetzlicher, regulatorischer oder infrastruktureller Neuerungen anpassen muss wie die Finanzwirtschaft.
Die Problematik der Causa ISO 20022 liegt nicht in der bloßen Herausforderung einer erfolgreichen Projektumsetzung. Entscheidend ist vielmehr, dass die Umstellung zu einer Zeit kommt, da Provisionserträge durch profane Bankdienstleistungen wie den Zahlungsverkehr für die Institute an Bedeutung gewinnen und zugleich zahlreiche Wettbewerber alternative Angebote entwickeln.
Nach einer Studie, welche die DPS Gruppe gemeinsam mit ibi-Research durchgeführt hat, denken 45 % der Unternehmenskunden darüber nach, für das Thema Auslandszahlungsverkehr künftig auch andere Anbieter als ihre Hausbank zu nutzen. Befragt wurden Unternehmen unterschiedlicher Größe, die regelmäßig Zahlungen außerhalb des SEPA-Raums leisten oder empfangen.
Die wesentlichen Kritikpunkte an dem bestehenden Angebot sind:
- Hohe Kosten und geringe Gebührentransparenz
- Mangelnde Abwicklungsgeschwindigkeit und fehlende Zusicherung von Transaktionslaufzeiten
- Fehlende Einheitlichkeit bei Schnittstellen und Formaten
- Unzureichende Zuordnung von Zahlungen und Rechnungen
- Kein zuverlässiges Tracking der Zahlung
Wettbewerbsangebote wie Wise, Western Union Business Solutions oder Ripple adressieren genau diese Schwachstellen und werben mit eigenen, effizienten Netzwerken, niedrigen Kosten und vermeintlich besserem Service.
Bezeichnenderweise trifft die Kritik gerade jene Aspekte des Auslandszahlungsverkehrs, welche SWIFT mit Services wie global payments innovation (gpi) zu adressieren sucht.
Institute, die über Jahre damit kämpfen, sich an die Umstellung der Infrastruktur anzupassen, um die bestehende Funktionalität aufrecht zu erhalten, fehlen die Ressourcen, um Ihr Service Portfolio weiterzuentwickeln und mit den Angeboten neuer Marktteilnehmer mitzuhalten. Die Migration auf die neue Infrastruktur ist aber Voraussetzung dafür, verbesserte Serviceangebote zu entwickeln.
Auf der Suche nach der richtigen Strategie
Es wäre allerdings falsch, hieraus abzuleiten, dass der Auslandszahlungsverkehr mittelfristig für traditionelle Banken verloren ist. Noch ist im Zahlungsverkehr die Hausbank überwiegend der feste Partner der meisten Unternehmenskunden. Notwendig ist eine kluge Strategie, welche das für die ISO 20022-Migration Notwendige tut und gleichzeitig die Erwartungen der Kunden und die Angebote des Wettbewerbs nicht aus dem Blick verliert.
Ein Weg kann es dabei sein, wenig wettbewerbsdifferenzierende Teile der Wertschöpfungskette an spezialisierte Dienstleister outzusourcen. Diesen Weg gehen einige große deutsche Institute in Bezug auf die Back Office-Verarbeitung. Ein erfolgreiches Outsourcing erlaubt es, die eigenen fachlichen und technischen Ressourcen auf die Weiterentwicklung von Services und die Kunde-Bank-Schnittstelle zu konzentrieren.
Es kann auch sinnvoll sein, Angebote von Wettbewerbern zu integrieren. Anbieter, die erfolgreich eigene Netzwerke und Service-Infrastrukturen aufgebaut haben können mitunter für bestimmte Kundengruppen und Zahlungsräume eine attraktive Alternative zum klassischen Korrespondenzbank-Netzwerk sein. Die Kooperation der Sparkassen mit Wise ist hier nur ein Beispiel.
Zugleich ist es wichtig, die Innovationen im Blick zu behalten, mit denen SWIFT das eigene Netzwerk anreichert. Mit SWIFT Go entsteht ein Service, der speziell für Zahlungen bis EUR 10.000,00 eine schnelle, transparente und günstige Abwicklung verspricht.
Die richtige Strategie im Übergang von einer MT zu einer MX-Welt hängt von zahlreichen Aspekten ab, die für jedes Institut individuelle bestimmt werden müssen:
- Welche Kundengruppen bedient das Institut vorrangig?
- Welche Rolle spielen Großbetrags- und Auslandszahlungsverkehr im Leistungsportfolio und für die Provisionserträge?
- Welche Rolle spielt die Kunde-Bank-Schnittstelle? Wie wichtig ist die Integration in die ERP-, Cash-Management- und Treasury-Systeme der Kunden
- Wie sind die Abwicklungssysteme aufgestellt? Wie hoch sind die technischen Schulden?
- Gibt es bereits eine Outsourcing-Strategie?
Nicht zuletzt, und hier sprechen die Verfasser pro domo, ist die Wahl der richtigen Partner ein entscheidender Faktor für ein erfolgreiches Projekt. Eine tiefes fachliches und technisches Verständnis in Nischen wie dem Auslandszahlungsverkehr ist am Markt nicht unbegrenzt verfügbar – eine langfristige und vertrauensvolle Zusammenarbeit umso entscheidender.