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KI-Anwendungen müssen Nutzen stiften

Ein Artikel von Prof. Dr. Dr. h.c. mult. August-Wilhelm Scheer, einer der prägendsten Wissenschaftler der deutschen Informationstechnik | 18.02.2021 - 08:01
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Prof. Dr. Dr. h.c. mult. August-Wilhelm Scheer, einer der prägendsten Wissenschaftler der deutschen Informationstechnik

Viele Branchen verfügen schon heute über große Mengen an Daten, die sich für entsprechende Analysen anbieten. Dazu gehört mit Sicherheit das Finanzwesen, das heute weitgehend digitalisiert ist. Die KI gestützte Suche zum Beispiel nach Kreditrisiken und Betrugsvorfällen kann dabei zu einem entscheidenden Erfolgsfaktor für Banken werden.

Erprobte Rezepte auf dem Weg zur Realisierung erfolgreicher KI Anwendungen machen hier im Grundsatz Mut. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sie mit erheblichen Aufwänden verbunden sind. Zum einen gilt es, Daten zu erfassen und den richtigen Stellen im Unternehmen zur Verfügung zu stellen. Anschließend kann durch Analytik konkretes Wissen aus den Daten gewonnen werden, um sicherere Entscheidungen zu ermöglichen. Das Ziel eines solchen Projektes ist die Effizienzsteigerung des Analyseschritts mit Hilfe der KI. Die große Herausforderung besteht darin, die wachsende Datenmengen möglichst vollständig und in einem angemessenen Kostenrahmen in entscheidungsrelevantes Wissen umzuwandeln. Systeme mit diesen Fähigkeiten sind allerdings derzeit noch kaum als fertige Produkte verfügbar. Kontinuierliche Entwicklungen, etwa im Bereich von vortrainierten Finanz -KIs, zeigen aber den Weg in die Zukunft.

Prozessmodell zwischen Mensch und KI

Am Ende soll ein Prozessmodell zwischen Mensch und KI stehen, ein Zyklus aus maschinellem Vorschlag und menschlicher Kontrolle. Dabei kann die KI, basierend auf dem menschlichen Feedback, ihre zukünftigen Vorschläge verbessern. Beispielhaft kann man sich dies in einem Prozess zur Abwehr von Betrug darstellen: Die KI wertet mögliche Betrugsmuster in Datenströmen aus und alarmiert ein Team von menschlichen Kollegen bezüglich identifizierter Fälle. Die Ergebnisse der Nachforschungen dieses Teams trainieren wiederum die KI.

Wir kennen also unterdessen durchaus verlässliche Wege, um KI basierte Datenauswertungen als Entscheidungshilfen zu generieren. Dennoch ist im B2B Bereich branchenübergreifend ein sehr zögerlicher Prozess hin zum umfassenden Einsatz entsprechender Softwareanwendungen zu beobachten. Es ist kein Zufall, dass hingegen KI Anwendungen im B2C Bereich boomen. Google, Amazon und andere Plattformen machen uns täglich vor, wie man aus der Datenflut, die wir als Nutzer zur Verfügung stellen, durch KI Anwendungen enormen Profit generieren kann.

Es bleibt oft nur beim „Proof of Concept“

Lassen wir in der Betrachtung möglicher Hemmschuhe im B2B Bereich einmal die vielen kleinen und mittleren Unternehmen außen vor. Sie scheitern mit Blick auf mögliche KI Anwendungen daran, dass sie über zu wenige Daten verfügen, um eine sinnvolle Analyse anzustoßen. Viele größere mittelständische Unternehmen und Konzerne wenden sich durchaus dem Thema KI grundsätzlich zu und lassen sich für konkrete Anwendungen häufig für einen Beispielsfall von KI Lösungsanbietern ein Proof of Concept (POC) erstellen.

Aber dabei bleibt es dann häufig auch. Nicht selten reichen bereits die Erkenntnisse aus jenem POC aus, um relevante Defizite zu erkennen und zu beheben, oder aber der Mehrwert der gewonnenen Erkenntnis ist zu gering. Letzteres zeigt sich beispielsweise immer wieder beim Thema Predictive Maintenance.

Wer Maschinen produziert und /oder anwendet, die aufgrund hoher Qualität ohnehin kaum Wartungsaufwände produzieren und extrem niedrige Ausfallquoten aufweisen, hat keinen feindifferenzierten Analysebedarf, wenn dieser mit großem Aufwand verbunden ist. Selbst wenn es um KI im Bereich der unstreitig wichtigen Betrugserkennung geht, stellen sich Anwender die Frage, ob der Aufwand sich mit Blick auf den erwartbaren Mehrwert lohnt. Umso mehr, wenn bestehende Systeme aus automatisierten Kontrollprozessen und menschlicher Umsicht bei Mitarbeitern bislang ausgereicht haben.

Machine Learning – immer noch „Black Box“?

Ein weiterer Grund für die zögerliche Umsetzung von KI Anwendungen liegt im Teilbereich des Machine Learning – einer Methode, die von vielen Anwendern als Black Box wahrgenommen wird. Mithilfe des maschinellen Lernens werden IT-Systeme in die Lage versetzt, auf Basis vorhandener Datenbestände und Algorithmen Muster und Gesetzmäßigkeiten zu erkennen und Lösungen zu entwickeln. So wird künstliches Wissen aus Erfahrungen generiert.

Die aus den Daten gewonnenen Erkenntnisse lassen sich verallgemeinern und für neue Problemlösungen oder für die Analyse von bisher unbekannten Daten verwenden. Dieser Lernprozess findet aber statt, ohne dass der Anwender einen Einblick in die Teilschritte hat oder diese nachvollziehen kann. Man sorgt sich, dass Falsches gelernt und umgesetzt wird.

Es ist also nicht pure Ignoranz, sondern in vielen Fällen gut begründete Skepsis, die uns bei zögerlichen potenziellen Anwendern begegnet. Können wir es uns aber tatsächlich leisten, uns auf Bestehendem auszuruhen, auf neue Entwicklungen in den Bereichen KI und Machine Learning zu verzichten? Ja und nein. Es geht immer wieder darum, ob tatsächlich der versprochene Mehrwert für das Anwendungsunternehmen entsteht. Es ist sicher nicht sinnvoll, dem KI Hype um des Hypes willen hinterherzulaufen, Daten als Selbstzweck zu analysieren. Ein klarer Mehrwert entsteht dann, wenn in jeder Branche wirklich zielführende Anwendungsfelder für KI identifiziert werden. Jene Bereiche, wo der Aufwand, eine solche Anwendung zu etablieren, tatsächlich von dem generierten Nutzen weit übertroffen wird. Es geht um Anwendungen, die die Effizienz steigern, Kosten reduzieren und die Marktbearbeitung erleichtern. Gesucht sind überzeugende vorkonfigurierte und erprobte KI Systeme sowie deren sinnvolle Implementierung.

„One size fits all“ hat ausgedient

Hier sind auch die richtigen Berater gefragt, die Unternehmen nicht ein ‚one size fits all‘ System überstülpen, sondern diese in einem sinnvollen Prozess begleiten. So kann in Anwenderunternehmen eine solide Basis dafür gelegt werden, um die zu erwartenden künftigen Weiterentwicklungen in der KI mit deutlich geringerem Aufwand nutzbar zu machen. Wir haben noch ein Stück des Weges vor uns, um solche überzeugenden Szenarios in der Breite zu realisieren, aber in Zukunft, das ist meine Überzeugung, wird die deutsche Wirtschaft weder auf KI verzichten können, noch darauf verzichten wollen. Das wirtschaftliche Risiko, dieses Innovationsfeld zu übersehen, ist höher, als es konstruktiv zu beobachten und zu testen.