Underbanked Customer: Banken und Fintechs sitzen fest im Sattel

Ein Artikel von Miriam Wohlfarth | 18.04.2022 - 06:06
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chluss mit der Konkurrenzsituation: Wie sich Banken und FinTechs gemeinsam den „Underbanked Customer“ widmen können.  © Pixabay

Wer an FinTech denkt, denkt fast ­immer an Paypal, Klarna oder die Neobank N26. Kein Wunder: Mehr als 20 Prozent der Einhörner, FinTechs also, die mehr als eine Milliarde US-Dollar wert sind, beschäftigen sich mit dem Bezahlen. Danach folgen Neobroker und Digitalbanken, die vor allem damit werben, das Banking zu vereinfachen. All diese Angebote machen zusammen rund ein Drittel des FinTech-Marktes aus und greifen die etablierten Banken zumindest teilweise frontal an, weil sie drohen, ihnen das Geschäft und ihre Kunden wegzunehmen. Gerade in den letzten Jahren entstehen aber immer mehr solche Startups, die dem Banking etwas hinzufügen, den Kuchen also größer machen statt nur vom bestehenden zu naschen.

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Schema für Lending-as-a-Service © Banxware

FinTechs vergrößern den Markt

Riskified aus Israel will etwa dafür sorgen, dass sich Webshops besser vor Betrug schützen. Deren KI ermittelt, ob eine Person, die online einkauft, Böses im Schilde führt oder nicht. Zudem soll die Software verhindern, dass ein fälschlicherweise als Betrug identifizierter Vorgang dazu führt, dass ein Kunde frustriert abbricht und dem Shop-Betreiber dadurch Umsätze entgehen. Kleine Beträge von bis zu 30 Euro fallen häufig durch das Raster, weil für niedrige Summen Ausnahmen gelten, was etwa die Zweifaktor-Authentifizierung angeht. Händler verzichten darauf, damit Onlinekäufer nicht einfach abbrechen, weil ihnen der Einkauf zu kompliziert wird. Sie brauchen deshalb andere Methoden, um ihre Betrugsrate zu senken und sich bei Issuern und Acquirern beliebt zu machen.

Ähnlich gehen Startups wie CredoLab und Lenddo aus Singapur oder Upstart aus den USA vor, um ihre ­Angebote zu lancieren. Sie nutzen Daten, über die Banken nicht verfügen, um für einen Kredit das nötige Scoring zu berechnen. Dazu gehören etwa Telekommunikations-, Browser- oder gar die Bewegungsdaten, die im Smartphone gespeichert sind, sowie der SAT-Score, den junge Menschen in den USA ablegen müssen, um zu studieren. Qwill schaut sich an, wie viel Geld Freiberufler auf Plattformen verdienen, die Jobs auf Zeit vermitteln. Wer in dieser „Gig Economy“ ein regelmäßiges Einkommen erzielt, kann sich kurzfristig Liquidität besorgen und zahlt den geliehenen Betrag aus den künftigen Einnahmen zurück. Solche Dienste lassen sich auch direkt in die Plattformen integrieren und erscheinen als ein eigenes Angebot, das die angeschlossenen Händler nutzen können. Hier entsteht gerade ein Megatrend, wie eine Studie von der Solarisbank und dem Handelsblatt Research Institute zeigt. 

Demnach können sich mehr als 60 Prozent der Befragten vorstellen, bei E-Commerce-Anbietern auch Finanz­produkte zu erwerben. Mambu und Amazon Web Services schätzen den Markt auf sieben Billionen US-Dollar bis 2030. Die Angebote sollen bis dahin von kassenlosen Supermärkten über die Krankenversicherung via App reichen bis hin zu Studienkrediten, die direkt von den Universitäten vergeben werden. Im B2B-Bereich sehen die Ideen ähnlich aus: Banxware bietet etwa Plattformen, Payment Providern und Marktplätzen an, selbst Finanzierungen an ihre Händler zu vergeben.

Die Vorteile liegen auf der Hand: Händler brauchen sich nicht darum kümmern, wie das Scoring entsteht, wer den Kredit führt und wie das Geld auf das Konto ihrer Kunden gelangt. Das erledigen die eingebetteten Anbieter. Wer schnell Liquidität benötigt, braucht sich beispielsweise nur noch in das Backend des Partners einzuloggen und den Antrag zu starten. Banxware entscheidet auf Basis echter Umsatzdaten und zahlt den gewünschten Betrag sofort aus, sofern die empfangene Bank, die das Geschäftskonto führt, Instant Payments kann.

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Miriam Wohlfarth ist Gründerin von Banxware. Zuletzt war sie ebenfalls als Gründerin und Managing Director mehr als 12 Jahre beim Bezahldienst Ratepay beschäftigt. Wohlfarth engagiert sich zudem seit 2019 im Vorstand der German Startups Association. © Banxware

Verwundbares Geschäft absichern

An den meisten dieser Embedded-Finance-Lösungen sind Banken beteiligt, auch wenn sie die Technologie dafür nicht selbst bereitstellen. Vielmehr erlauben sie ihren Partnern, Kredite in bestimmter Höhe und bis zu einem bestimmten Volumen zu vergeben, oder sie nutzen die Dienste selbst, um das Scoring im eigenen Haus zu verbessern. Die Institute sind also weder überflüssig noch drohen sie, ihr Geschäft zu verlieren an die digitalen Newcomer. Stattdessen wächst der Markt, der sich gemeinsam ansprechen lässt. Drei Gründe sprechen dafür, dass dies auch so bleibt, wie sich an Lending-as-a-Service zeigen lässt:

  1. Datenlage: Banken benötigen meist eine Historie von zwei oder mehr Jahren, bevor sie für ein Unternehmen Kredite gewähren. Zudem sind diese Daten nicht tagesaktuell, sondern in Geschäfts- und Jahresberichten dokumentiert. FinTechs betrachten dagegen einen kürzeren Zeitraum von nur ­wenigen Monaten und greifen dafür direkt auf die Umsatzdaten auf den Plattformen zu.
  2. Skalierung: Über ein FinTech lassen sich auch Klein- und Kleinstkredite vergeben, die sich für eine Bank anderenfalls kaum lohnen. Es gilt: Marge durch Masse. Will eine Bank dieses Geschäft komplett selbst anbieten, müsste sie zudem die technischen Voraussetzungen dafür erst schaffen und selbst Plattformen ansprechen, die ihren Dienst einbinden. Das treibt die Kosten für die Kundenakquise (CAC) hoch.
  3. Fragmentierung: Wenn Banken selbst „Embedded Banking“ anbinden wollen, entsteht ein zusätzlicher Wettbewerb um diejenigen, die das Produkt einbinden sollen. Der Grund: Kein Händler und keine Plattform möchte sich mit unzähligen verschiedenen Anbietern und deren Abläufen beschäftigen. 

Dadurch fragmentieren Banken ihren gerade erst eroberten Markt wieder und machen das Geschäft unrentabel. Hinzu kommt, was sich im Open Banking bereits abzeichnet: Einige Banken konzentrieren sich darauf, als Provider einzelne Dienste zu entwickeln und sie für andere Banken und Unternehmen über eine API zugänglich zu machen. Andere konsumieren diese Dienste und agieren vor allem als Gesicht zum Kunden. Jeder macht das, was er am besten kann. Dieses Prinzip führt dazu, dass die beteiligten Partner in ihren jeweiligen Nischen einen Burggraben ausheben, der anderen erschwert, selbst in diese Nische einzudringen. Beispielsweise genießen FinTechs, die auf der grünen IT-Wiese starten und bereits über fertig trainierte KI-Modelle und Machine-Learning-Algorithmen verfügen, einen Vorsprung, den jedes einzelne Institut für sich kaum aufholen kann. Gemeinsam allerdings sichern sie ein Geschäft ab, das verwundbar wäre, wenn sie auf eigene Faust losschlügen.

FinTechs als Partner suchen

Sowohl für die Banken als auch die Plattformen eignen sich ein oder ­wenige FinTechs, die beide Welten technisch zusammenführen, viel besser. Daran ändern auch Instant ­Payments und um viel mehr Daten angereicherte Transaktionen im ISO-­20022-Format nichts, weil sie die zusätzlichen Informationen, die auf der Plattform erst entstehen, gar nicht betreffen. Eine Bank müsste immer noch eine Schnittstelle schaffen, um genau nachzuvollziehen, was für Umsätze ein Händler macht, nicht zuletzt deshalb, weil sich die Kunden auch für alternative Bezahldienste wie eben Paypal oder Kauf auf Rechnung entscheiden könnten. Das Geschäftskonto auszuwerten, reicht nicht aus – zumal der Händler davon abhängig wäre, dass die eigene Bank auf diesem Wege Kredite vergibt. Über ein FinTech zu gehen, entlastet die Banken auch davon, eine von Ende zu Ende durchgehend digitalisierte – und wegen der geringen Marge – möglichst automatisierte Antragsstrecke zu bauen und zu warten. Allein beim Scoring läuft dies über drei Säulen: PSD2, Rating-Agenturen und die Umsatzdaten auf der Plattform. Über den Kontozugriff lassen sich etwa Negativmerkmale wie eine mögliche Spielsucht herausfinden. Firmenkonten zu analysieren, ist jedoch komplizierter, weil gerade im Klein- und mittelständischen Bereich Privat- und Firmenausgaben verschwimmen oder weil mehrere Konten und Personen existieren, die befugt sind, Zahlungen zu veranlassen. Diese Daten müsste die Bank auch noch mit dem Rating von CRIF 

Bürgel oder Creditreform anreichern, um den Anforderungen der EBA zu genügen. Künftig dürfte die dritte und vielleicht wichtigste Informationsquelle noch relevanter werden, falls die Plattformen neben den aggregierten Umsatzdaten auch solche anbieten, die sich direkt auf die erworbenen Produkte beziehen. So erfährt das Scoring-Modell, ob die Umsätze etwa täglich oder wöchentlich schwanken, ob Kumulrisiken vorliegen oder welche Marge ein Händler bei welchem Produkt erwartet. Mit ISO 20022 allein lässt sich das nicht machen. Vielmehr wäre ein Institut, das dieses ­Geschäft selbst aufbauen will, gezwungen, die Zahlungsverkehrsdaten mit denen auf der Plattform abzugleichen. Insgesamt bedeutet das, einen eigenen Geschäftsbereich zu gründen, der sich nur mit Kleinkrediten für Händler auf Plattformen beschäftigt. Das kann sich nur für wenige rechnen, nicht für alle. Darum ist ein FinTech-Partner die bessere Wahl.

Fazit

Banken und FinTechs erleichtern sich gegenseitig das Leben, wenn sie sich gemeinsam daran machen, Kunden zu versorgen, die vorher „underbanked“ waren. Das liegt einerseits daran, dass sich viele Angebote für Banken weniger lohnen als für FinTechs, andererseits fühlen sich viele Privatpersonen und Unternehmen nicht richtig abgeholt oder gar ignoriert. Gerade junge Leute erwarten heute, dass sich Anbieter stärker um sie bemühen – und diese Erwartungen nehmen sie mit, wenn sie ihr erstes Unternehmen gründen. Was diese Kunden sich wünschen, lässt sich auf zwei Worte reduzieren: UX und Convenience. Neue Angebote überzeugen, wenn sie sich leicht bedienen lassen und ein gutes Nutzererlebnis bieten. FinTechs brauchen häufig weniger Zeit, um etwa einen Kredit zu bearbeiten, zu entscheiden und via SEPA-Instant auszuzahlen. Auch da bietet es sich für viele Banken an, ein FinTech als Frontend zum Kunden zu nutzen. Genau das leistet „Embedded Finance“.