So lässt sich exakt verfolgen, an welchen Prozessstellen es zu Engpässen kommt. Daraus lassen sich Ursachen ableiten sowie Problemlösungen erarbeiten. Anwender von Process Mining nennen Effizienzgewinne, Kostensenkungen, Risikoreduktion sowie eine gestiegene Kundenzufriedenheit als Vorteile. Mit welchen Methoden optimieren Finanzdienstleister ihre Prozesse? Wenden sie Process Mining schon an?
„Was verstehen Sie in Ihrem Hause unter Process Mining? Wie optimieren Sie Prozesse?“
Hennerici: Bei der Aareal Bank ist der Begriff nicht explizit konnotiert. Wir betreiben Prozessoptimierung im klassischen Sinne. Die einzelnen Fachbereiche beschäftigen sich damit, wie sie ihre Prozesse optimieren können, von den Management- bis zu den Supportprozessen. Im Bereich Innovation Management möchten wir die Fachbereiche unter anderem auch dabei unterstützen – durch die Sichtung, Einordnung und Empfehlung passender Technologien. Besonders vielversprechend ist dabei das Entwicklungsfeld der Künstlichen Intelligenz. Wir sind gerade dabei, eine KI-Strategie zu entwickeln. Ein Ziel dabei ist, an die Optimierung der Prozesse der Bank anzuknüpfen.
Burger: Unter Process Mining verstehen wir die Kombination von Data Mining und Prozessmanagement. Wir leiten aus Informationen, die die Systeme generieren, den s.g. System-Logs, die Schritte ab, die der Mitarbeiter oder Kunde im Anwendungssystem vollzogen hat. Mit diesem Feed aus real generierten Prozessdaten gewinnt man Erkenntnisse, wie Prozesse tatsächlich gelebt werden. Das entspricht oft nicht dem, was man in der Theorie geplant hat. Nach zahlreichen Prozessdurchläufen, z.B. tausenden geleisteten Zahlungen oder hunderten eröffneten Krediten, kann man diese visualisieren und nach bestimmten Kriterien prüfen, welche Prozesse direkt durchgelaufen sind oder wo Nadelöhre sind. Im Zielbild sieht die Bank live, wenn eine Zahlung irgendwo hängt oder ein Kredit zu lange liegt. So lässt sich sogar die ganze Produktion der Bank in Echtzeit überwachen. Die Datenwelt wird über Systemgrenzen hinweg integriert und ausgewertet, so dass die Prozesse anschließend optimiert werden können. Obwohl der Digitalisierungsgrad in Banken häufig bereits hoch ist, ist Process Mining im Gegensatz zur Industrie noch kein gängiges Instrument. Verschiedene Anbieter, die auch Data Mining, Schriftenerkennung, digitales Prozessieren und RPA anbieten, haben auch Process-Mining-Lösungen entwickelt. Bekannte Anbieter sind UiPath mit ProcessGold, Abbyy mit Timeline, aber auch Celonis, die sich weltweit einen großen Namen gemacht haben. Zusätzlich existieren schlankere Lösungen wie Disco, die wir bei unseren Kunden ebenfalls häufig einsetzen. Wir haben bereits etliche Projekte in diesem Bereich betreut und sehen da häufig Dinge, die man mit klassischen analytischen Verfahren nicht erkennt.
„Provokativ formuliert: Remove the human Bottleneck! Ich wünsche mir, dass Algorithmen uns unterstützen, um für Betriebsmodelle mehr Skalen- und Verbundeffekte zu erzielen.“
Sebastian Hennerici arbeitet im Innovation Management der Aareal Bank und leitet das Projekt „Data Analytics“. Außerdem ist er Mitglied des konzernweiten Startup-Teams der Aareal Bank Gruppe. Der Betriebswirtler mit Fokus auf Finance ist seit 2016 in der Aareal Bank tätig.
Briest: Als kleines Haus haben wir auch keine Abteilung für das Prozessmanagement im engeren Sinne, sondern alle Bereiche unserer Bank sind aufgefordert und eingebunden, Prozesse zu optimieren und zu digitalisieren. Wir nutzen das Data Mining z.B. im Kundenbereich und haben seit Jahren ein automatisiertes Customer Relationship Management (aCRM) im Einsatz. Wir wollen die Zufriedenheit der Kunden durch angepasste Ansprachen optimieren und das Kundenerlebnis steigern. Ferner messen wir unsere wesentlichen Prozesse bereits intensiv, um Optimierungspotenzial zu ermitteln und umzusetzen. Dabei setzen wir auf standardisierte Vorgänge unseres Kernbankensystems und mittlerweile auch auf RPA. Die Prozessautomation ist der nächste Schritt, an dem wir arbeiten. Zwar haben wir in der Genossenschaftsgruppe unseren zentralen IT-Dienstleister, wir kaufen uns aber, wo es uns weiterhilft, zusätzliche Anwendungen und Programmierleistung dazu. So auch im Fall von aCRM oder RPA mit dessen Hilfe wir einige erste Prozesse effizienter gemacht haben, z.B. bei Prolongation von Krediten oder dem Löschen ausgeschiedener Kunden.
Meusel: In den letzten Jahren haben wir sehr stark in die Digitalisierung investiert und von der klassischen Prozessdokumentation und -abbildung weg einen großen Schritt gemacht. Jetzt stehen wir vor der Aufgabe, die verfügbaren technischen Daten auch sinnvoll zu nutzen. Unsere Mitarbeiter der Abteilungen Prozessorganisation und IT sind mit der erforderlichen Expertise im Haus unterwegs und untersuchen auch mit Miningansätzen, wo Druckpunkte und Potenziale existieren. Optical Data Recognition- und RPA-Lösungen helfen uns dabei, auch komplexere Effizienzen schnellstmöglich zu heben. Wir sind jedoch auch noch stark von klassischen, aber nicht weniger wichtigen Impulsgebern beeinflusst, von Kundenwünschen, verfügbaren Ressourcen, technischen Möglichkeiten und den konkret adressierten Bedarfen unserer internen Stakeholder. Zudem gibt es auch bei uns noch eine ganze Reihe manueller Prozesse. Zum einen, weil wir uns als Genossenschaftsbank mit knapp 1600 Mitarbeitern auf wesentliche strategische Handlungsfelder fokussieren müssen. Zum anderen muss auch unsere Bank die stetig steigenden regulatorischen und gesetzlichen Anforderungen umsetzen, was natürlich Ressourcen bindet.
„Es ist ganz wichtig, sich trotz begrenzter Ressourcen klar auf die Prozesse zu fokussieren, bei denen sich ein intensiver Einsatz von Technik und Know-how lohnt.“
Christian Meusel leitet in der Berliner Volksbank eG die Abteilung Prozessorganisation, bestehend aus rund 30 Mitarbeitern. Die Aufgaben reichen vom klassischen Prozessmanagement bis zu Robotic Process Automation (RPA). Die Berliner Volksbank zählt mit 16 Mrd. Euro Bilanzvolumen zu den größten Genossenschaftsbanken in Deutschland.
Meier: Wir haben vor ein paar Jahren das „klassische“ Prozessmanagement in Form einer eigenständigen Abteilung eingestellt, weil wir überzeugt waren, dass Prozessverbesserungen in jeden unserer Bereiche gehören. Jeder muss seine Use Cases für sich finden und Verbesserungen vorantreiben. Wir wollten nicht in der klassischen Prozessoptimierung verhaftet bleiben, nach dem Motto: Die einen machen die Prozessverbesserung und die anderen machen „nur“ ihren Job. Unser Vorbild war die ING aus den Niederlanden. Wir wollten smart unterwegs sein, mit schlanken Prozessen. Dafür haben wir eine eigene Variante des agilen Projektmanagements gewählt. Zusätzlich gründeten wir eine Digital Factory mit Mitarbeitenden aus sämtlichen Bereichen. In dieser probieren wir uns an verschiedenen Stellen einfach aus. Unser Fokus beim Einsatz von Process Mining, KI und Data Analytics liegt auf der Verbesserung des Kundenerlebnisses. Wir haben uns angesehen, wo es Datenpunkte gibt, bei denen wir den größten Hebel haben. Als erstes setzten wir eine RPA-Lösung ein, um Standardprozesse zu automatisieren, bei denen Kollegen bisher stumpf irgendwelche Daten eintragen mussten. Wir stellten fest, dass RPA auch Grenzen hat. Die Mensch-Maschine-Mensch-Zusammenarbeit funktioniert noch nicht optimal. Wird ein Prozess zu komplex, schafft auch der Roboter diesen nicht und verursacht Chaos statt Effizienz. Die Mensch-Maschine-Komponente muss daher genau aufeinander abgestimmt sein.
Von der Hardt: Auch wir sind beim Process Mining nicht rein auf die IT-Datenanalyse fokussiert. Als wir das Thema bei uns begonnen haben, stand die Customer Journey im Mittelpunkt. Damit lassen wir nicht nur in operativen Bereichen sondern auch in den Change-Projekten mehr Kundenorientierung walten. Die Targobank hat ihre Prozesse bereits Ende der 90er Jahre „industrialisiert“ und das Kundencenter in Duisburg gegründet. Die Daten der verschiedensten Kundenkontaktkanäle sind aufgrund der unterschiedlichen Prozesse und IT-Lösungen, z.B. der Workflow-Systeme, verteilt. Zudem sind in den letzten Jahren weitere digitale Kanäle und systemische Lösungen hinzugekommen. Fakt ist: Eine volle Integration oder Einheitlichkeit von Datenstrukturen haben auch wir noch nicht vollständig erreicht. Immer wenn wir Prozesse analysieren, die der Customer Journey folgen, bedienen wir uns aus verschiedensten Datenbanken. Obwohl wir „nur“ eine große Mittelstandsbank sind, kann auch ich nicht immer bis ins Letzte genau nachzeichnen, welche Kundengruppe uns zu welchen Anlässen wie oft und auf welchen Kanälen kontaktiert hat. Um die komplette Sichtweise auf unsere Kunden zu verbessern, nutzen wir Process Mining. Unser Ziel ist es, mithilfe dessen in den Systemen genau sehen zu können, wie weit jeder einzelne Prozess vorangeschritten ist und wo wir aktuell stehen.
„Es ist wichtig, sich einen dedizierten Use Case, eine spezifische Customer Journey oder einen internen, operativen Prozess rauszusuchen und damit einfach mal Bottom-up anzufangen!“
Gerrit Meier verantwortet in der Hanseatic Bank den Bereich Payment & Financing Business. Das Institut wurde vor 52 Jahren von Werner Otto als Teilzahlungsbank für den Otto Versand gegründet. Neben Konsumentenkrediten zählen heute Einlagen, Versicherungen und das Factoring zu den Geschäftsfeldern der Hamburger Privatbank.
Werne: Der Punkt ist, dass Banken in der Digitalisierung noch weiter aufholen müssen. Logistikunternehmen sind da ein paar Schritte weiter. Das niedrigmargige Geschäft und der internationale Wettbewerb zwang sie schon sehr früh zu Prozessoptimierungen. Es ist nicht einfach, beim Business Process Outsourcing die richtigen Stellschrauben zu finden. Diese Erfahrung habe ich in meiner Zeit bei einer Bank und als Unternehmensberater gemacht. Bevor man in einem IT-System die Prozesse über Process Mining abbilden kann, muss zunächst eine vernünftige Datenbasis geschaffen werden. Process Mining und AI kann man dann ideal kombinieren. Denn was machen wir mit AI heute? Clustering, Prediction sind 99 Prozent der Anwendungsfelder. Doch alles fängt beim Prozess selbst an: Ist dieser überhaupt gut designt und habe ich die Daten, die das nachhalten? Ansonsten brauche ich mit Process Mining gar nicht erst zu beginnen, sondern befinde mich noch an dem Punkt, eine Prozessanalyse mit Papier und Bleistift aufzunehmen. Ich sehe es bei ganz großen Banken, für die wir ein komplett outgesourctes Cash-Management anbieten. Wenn wir sie in der Analysephase bitten, uns eine ganz einfache Geschäftsprozessbeschreibung zu geben, scheitert dies oftmals an der Komplexität der Aufgabe. Schon gar nicht ist daran zu denken, uns Zugang auf die Systeme zu geben, um ein Process Mining Tool zur Analyse einsetzen zu können. It doesn´t work! Zwischen Wunschbild und Realität sind da oft noch große Unterschiede.
Den zweiten Teil des Expertengesprächs finden Sie hier.